Rodney Stone
Sir Arthur Conan Doyle
Der historische Roman Rodney Stone ist eines der weniger bekannten Werke Conan Doyles. Eingebettet in eine spannende Geschichte um den Titelhelden und seinen besten Freund, entführt der Roman den Leser in die Zeit der napoleonischen Kriege und die Welt des typisch englischen, professionellen Faustkampfes.
Verlag 28 Eichen, 2015
- ISBN:
- 9783960270935
- Preis:
- 19,95€
Die deutsche Erstübersetzung des Romans entstand in Zusammenarbeit von Studierenden des Studiengangs Literaturübersetzen und dem Verlag 28 Eichen, unter der Koordination von Heike Holtsch.
Aus dem Englischen
von Mandana Bagheri, Martin Fischer, Heike Holtsch, Britta Köhler,
Kristina Mundt, Eva Scharenberg, Anja Schindler, Jennifer Schwartz,
Jennifer Thomas, Sara Walczyk, Constanze Wehnes, Zita Weiß und Fabienne
Weuffen.
Leseprobe
Der Frühling des Jahres 1803 kam früh, und Mitte April waren die Kastanienbäume bereits dicht belaubt. Eines Abends saßen wir alle zusammen bei einer Tasse Tee, als wir vor dem Haus Schritte knirschen hörten. Vor der Tür stand der Briefträger mit einem Brief in der Hand.
»Ich glaube, der ist für mich«, sagte meine Mutter, und tatsächlich war er in Schönstschrift an Mrs. Mary Stone, Friar’s Oak, adressiert, und ein rotes Siegel von der Größe eines Halbkronenstücks prangte darauf, mit einem fliegenden Drachen in der Mitte. »Was glaubst du, Anson, von wem der ist?«, fragte sie.
»Ich hatte gehofft, er wäre von Lord Nelson«, antwortete mein Vater. »Es wird Zeit, dass der Junge seinen Dienst antritt. Aber wenn er für dich ist, dann hat ihn wohl keine allzu bedeutende Person geschickt.«
»Ach nein?«, rief sie aus und tat entrüstet. »Für diese Worte werdet Ihr mich um Verzeihung bitten, werter Herr, denn der Brief ist von niemand Geringerem als Sir Charles Tregellis, meinem Bruder höchstpersönlich.«
Meine Mutter schien mit gedämpfter Stimme zu sprechen, als sie ihren großartigen Bruder erwähnte, und soweit ich mich erinnere, hatte sie das schon immer getan, sodass ich gelernt hatte, mich beherrscht und ehrfurchtsvoll zu geben, wann immer ich seinen Namen hörte. Das war auch kein Wunder, denn tatsächlich wurde dieser Name stets und ausschließlich im Zusammenhang mit etwas Bedeutungsvollem und Außergewöhnlichem erwähnt. So kam uns einmal zu Ohren, dass mein Onkel zusammen mit dem König auf Windsor weilte. Er war oft in Brighton beim Prinzen zu Besuch. Hin und wieder machte er durch seinen Ruf als Sportsmann von sich reden, etwa als sein Meteor beim Pferderennen in Newmarket über den Egham des Duke von Queensberry triumphierte, oder als er Jim Belcher aus Bristol mit nach London brachte und damit die Sportwelt überraschte. Doch für gewöhnlich war es sein Ruf als Vertrauter der Mächtigen, als Vorreiter der neuesten Mode, als König der Dandys und als bestgekleideter Mann der Stadt, der ihm vorauseilte. Mein Vater jedoch schien nicht allzu erfreut über die triumphale Erwiderung meiner Mutter.
»Aye, und was will er?«, fragte er in nicht gerade liebenswürdigem Ton.
»Ich habe ihm geschrieben, Anson, und ihm berichtet, dass Rodney zum Mann heranwächst, denn ich dachte, da er keine Frau und keine eigenen Kinder hat, wäre er vielleicht bereit, ihn zu fördern.«
»Wir kommen sehr gut ohne ihn zurecht«, knurrte mein Vater. »Bei Blitz und Donner hat er uns im Stich gelassen, und jetzt, da die Sonne scheint, brauchen wir ihn auch nicht mehr.«
»Du tust ihm Unrecht, Anson«, sagte meine Mutter mit warmer Stimme. »Niemand hat ein so gutes Herz wie Charles, doch da sein eigenes Leben so glatt verläuft, kann er nicht verstehen, dass andere es schwer haben. All diese Jahre hätte ich nur ein Wort sagen müssen, und er hätte mir alles gegeben, wonach es mich verlangte.«
»Gott sei’s gedankt, dass du dich nie dazu herablassen musstest, Mary. Ich verzichte getrost auf seine Hilfe.«
»Aber wir müssen an Rodney denken.«
»Für seine Seemannskiste und Ausrüstung reicht’s. Mehr braucht er nicht.«
»Aber Charles hat großen Einfluss in London. Er könnte Rodney mit all den wichtigen Persönlichkeiten bekanntmachen. Du willst ihm doch sicher nicht den Aufstieg in der Gesellschaft verwehren.«
»Na, dann wollen wir mal hören, was dein Bruder zu sagen hat«, sagte mein Vater. Daraufhin las meine Mutter vor:
- Jermyn Street 14, St. James’s
- 15. April 1803
Meine liebe Schwester Mary,
als Antwort auf deinen Brief darf ich dir mit Nachdruck versichern, es mangelt mir keineswegs an jenen edlen Gefühlen, die den Menschen in höchstem Maße zieren. Es ist allerdings wahr, dass ich seit einigen Jahren, in denen mich Angelegenheiten von größter Wichtigkeit derart vereinnahmten, nur selten eine Schreibfeder zur Hand nehme, was mir, wie ich beteuern kann, bereits von so einigen des plus charmantes deines reizenden Geschlechts zum Vorwurf gemacht wurde. Gegenwärtig liege ich zu Bett (da ich gestern Abend noch allzu lange auf war, um der Marquise von Dover auf ihrem Ball meine Aufwartung zu machen), und Ambrose, mein kluger Schelm von einem Kammerdiener, schreibt diese Zeilen nach meinem Diktat. Es ist mir ein großes Anliegen, mehr über meinen Neffen Rodney (Mon dieu, quel nom!) zu erfahren, und da ich nächste Woche dem Prinzen einen Besuch abstatten werde, will ich es einrichten, auf meiner Reise in Friar’s Oak Rast zu machen, um dich und auch ihn zu besuchen. Richte deinem Gatten meine besten Grüße aus.
Ich verbleibe, meine liebe Schwester Mary,
stets dein Bruder,
Charles Tregellis